Als wir Anfang 2005 organisch gestartet sind, haben uns immer wieder einige Leute gefragt, wann sie denn mal vorbeikommen können, um sich unsere Gemeinde anzuschauen. Ich habe dann immer zurück gefragt: „Was wollt ihr denn sehen?“ Die Antwort war so ziemlich jedes Mal: „Na, euren Gottesdienst.“

Die Frage und der Blickwinkel sind völlig verständlich, wenn man bedenkt, was in unseren Gemeinden in Deutschland meist das prägende oder organisierende Element ist. In einer klassischen Gemeinde ist es der Gottesdienst, auf den alles zusammenläuft: Es ist nicht nur die zentrale Veranstaltung einer Gemeinde, es ist das, was das gesamte Gemeindeleben am stärksten prägt. Der Gottesdienst ist das Element, das in einer klassischen Gemeindeform die größte Aufmerksamkeit bekommt und in dem die unterschiedlichsten Dinge passieren sollen: Christen sollen Gott anbeten, gelehrt werden, geistlich auftanken, Gemeinschaft mit anderen Christen haben, Nichtchristen sollen Gott kennen lernen können und und und. Hierbei soll gar nicht bewertet werden, ob das auch alles geschieht, es klärt lediglich, warum der Gottesdienst auch in unseren Köpfen so ein starker Ankerpunkt ist.

Von daher ist es nur natürlich, dass Interessierte aus diesem System mit derselben Erwartungshaltung unsere Gemeinde „besuchen“ wollten.
Aber ich glaube, dass in unseren Köpfen der Gottesdienst auch dann noch das prägende Element bleibt, wenn wir uns von dem klassischen System gelöst haben und nun als kleine Gruppe organisch unterwegs sind – wenn wir unsere erste organische/einfache Gemeinde gestartet haben.
Allein in den letzten zwei Wochen hatte ich drei Gespräche mit Leuten aus unterschiedlichen organischen Gemeinden, in denen es genau darum ging: Es passierte nicht viel missionarisch, aber der Fokus war irgendwie doch auf dem Treffen, dem Gottesdienst. Und das waren alles durch die Bank hochmotivierte Leute, die sich total danach sehnen, dass Menschen zum Glauben kommen und zu Jüngern werden.

Hier zeigt sich meines Erachtens, wie fundamental (also grundlegend wichtig) die Frage ist, was zuerst kommt: Mission oder Gemeinde? (siehe Videopost)
Wenn wir Gemeinde vor Mission denken, dann werden wir viel an unserem Gemeindeleben rumdoktorn: Wie sieht unser Gottesdienst aus, wie können wir ihn noch besser gestalten, was hilft uns noch mehr, wie wird das Ganze dynamischer? Und schon haben wir völlig unbemerkt und ebenso unbeabsichtigt das alte Gottesdienst-zentrierte Denken mit ins „Haus“ geholt.

Wenn wir damit aber nicht beginnen, sondern mit Mission, wenn wir uns verabreden und nach draußen gehen, um Menschen zu suchen, die offen sind, denen wir dienen können, für die wir beten können, dann ändert sich etwas fundamental. Wir merken: Wir sind gemeinsam unterwegs, wir sind Teil der großen Mission Gottes, wir sind „on a mission“, unser Blick wendet sich von innen nach außen, von uns weg hin zu Menschen, die unsere Hilfe brauchen, die Jesus dringend brauchen, weil sie keine Hoffnung haben, keine Perspektive.
Und wenn das passiert, müssen wir eigentlich gar nicht mehr an unserem Treffen „schrauben“:
Wenn man merkt, dass Gott uns zu Menschen geführt hat, dass Er was tut, dass Menschen offen für Gott sind, dass sie ihn kennenlernen, dann ändert das fundamental unsere eigenen Treffen. Und das passiert selbst dann, wenn die an Jesus Interessierten oder auch schon jungen Christen nicht einmal das eigene Treffen besuchen.
Das geistliche Klima, die geistliche Stimmung ändert sich grundlegend: Geistliche Elektrizität liegt dann in der Luft. Ich kenne kaum was Besseres, als zu merken: Wir sind mitten drin in einem absoluten Abenteuer mit Gott. Wir sind völlig abhängig von ihm, aber er rockt die Welt.

Daher ist es meist falsch zu fragen, was wir an unserem Treffen ändern sollten, damit wir mehr Dynamik erleben.
Wir müssen stattdessen anfangen, den Blick nach außen zu wenden und in Sachen Mission aktiv zu werden. Das bedeutet dann meist oft, dass wir erst mal lernen müssen, was es heißt, in „normalen“ und auch in „apostolischen“ Beziehungen von Jesus zu erzählen (zu dem Thema im nächsten Post mehr).

 

Ein Nachsatz:
Neil meint, dass es der bessere Weg ist, direkt mit Nichtchristen zu beginnen und man eher nicht mit Christen beginnen solle.
Da ist viel dran, aber ich glaube, dass man durchaus mit einer Gruppe von Christen beginnen kann. Die Frage ist dabei nur, womit fängt man dann an? Worauf legt man den Fokus?
Zu Beginn ist es schwer, sich von den alten Denkmustern zu lösen, vor allem dann, wenn man noch unsicher ist und noch nicht genau die Alternative sieht. Da alles noch so neu ist, fragt man sich: Was sollen wir denn tun? Und was tun wir, wenn wir jemanden gefunden haben, der sich für Gott interessiert? Bringen wir ihn dann in unsere Gruppe? Was macht das mit der Dynamik in unserer Gruppe? Das Ziel ist doch Multiplikation, was passiert, wenn wir jetzt Leute einfach aufsammeln? Und vieles mehr. Es fehlt einfach ein Konzept.

Nicht, dass ich das perfekte Konzept für Deutschland schon im Kopf habe, aber so unsicher wie vor sieben Jahren bin ich nicht mehr.

Übrigens: Marlin hat vor längerer Zeit schon mal Michael Frosts Gedanken zum „prägenden oder organisierenden Element“ (von dem ich die Gedanken auch habe) in einem Post über missionale Gemeinde zusammengefasst.
Spannend war damals auch die heiß geführte Debatte über seinen letzten Satz: „Jetzt müsste man nur noch einen Weg finden, den Gottesdienst abzuschaffen.“
Das Letzteres gar nicht so abwegig ist, werde ich in einem der nächsten Posts beleuchten, aber erst mal der Reihe nach. :-)