Photo Credit: ariel.chico - cc

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Es passiert immer mal wieder, dass ich gefragt werde, was ich hier in Hamburg tue.
Meine kurze Antwort darauf ist meist in etwa: „Ich setze mich dafür ein, dass Menschen Jesus kennen lernen, sie zu Jüngern werden und als Folge daraus neue Gemeinden gegründet werden.“

Fast immer ist die Anschlussfrage: „Und in welcher Gemeinde bist du?“
Wenn ich dann sage, dass ich nicht klassisch in einer Gemeinde bin, sondern wir in einem Missionsteam daran arbeiten, dass Menschen Jesus kennen lernen, zu Jüngern werden und so neue Gemeinden gegründet werden (s.o.), dann folgt manchmal ein sehr kritischer Blick und große Anfragen an das, wofür ich mich einsetze. Manchmal wird in Bezug auf meinen Fokus des Jüngermachens gefragt, warum ich denn gegen Gemeinde sei oder ob ich gegen Leitung sei und mich deshalb keiner „normalen“ Gemeinde anschließe.

Aus einem kürzlichen Mailwechsel teile ich hier ein paar meiner Antworten:

Ich bin nicht gegen Gemeinde, ich bin nicht gegen Leiterschaft, ich bin nicht gegen Gemeinschaft, ich bin nicht gegen Jüngerschaft. Ganz und gar nicht.

Ich bin nur der Überzeugung, dass Dreiecks-Gemeinden (ich beziehe mich auf das Video „Organische Gemeinde in 4 Minuten Video erklärt„) biblisch-theologisch absolut gleichwertig zu Quadrat-Gemeinden sind und sie in keinster Weise minderwertiger als klassische Gemeinden sind.
Ich kenne sogar Pastoren klassischer Gemeinden, die zu mir sinngemäß gesagt haben: „Ich würde diesen Weg auch gehen, wenn ich einen Weg sehen würde, meine Familie zu ernähren, wenn ich meine bezahlte Pastorenstelle verliere.“

Ja, ich sehe deutliche Vorteile von Dreiecksgemeinden gegenüber quadratischen (also klassischen) Gemeindeformen, diese kann ich meinen Geschwistern ruhig und detailliert beschreiben, aber das bedeutet natürlich überhaupt nicht, dass ich meine Kollegen oder Geschwister darin irgendwie gering achten würde.

Ich erwarte auch gar nicht, dass alle Quadratsgemeinden sich komplett verändern müssen und ein Netzwerk von dreieckigen (einfachen, organischen) Gemeinden werden. Das ist utopisch und auch nicht die Berufung dieser Gemeinden.

Worum es mir zum einen geht, ist, aus den Köpfen auszuräumen, dass unser aktuelles weit verbreitetes Bild davon, wie Gemeinde aussieht, nicht viel mit den neutestamentlichen Strukturen von Gemeinden zu tun hat. Um nur einen Punkt zu nehmen: In den ersten 300 Jahren des Christentums, in denen sich das Christentum rasant (und gesund) entwickelt hat, gab es keine Kirchengebäude.
Damit sage ich nicht, dass nur weil wir die heutige Form von Kirche (egal ob Landes- oder Freikirche) nicht zur Zeit des NTs finden, sie heute keine Daseinsberechtigung hat.
Was ich möchte, ist Christen wieder ein Verständnis zu geben, dass Gemeinden damals anders aussahen und auch heute einfacher, organischer aussehen können.

Wenn du mehr zu den Hintergründen mancher unserer vermeintlich biblischen Gemeindetraditionen wissen willst, empfehle ich dir das Buch Heidnisches Christentum? .

Zum anderen geht es mir darum, dass Menschen wieder befähigt werden, hinauszugehen und das zu tun, was Jesus seinen Jüngern zunächst vorgemacht hat (z.B. Lukas 8), wozu er sie ausgesandt hat (die 12 in Lukas 9, die 70 in Lukas 10) und wozu er ihnen am Ende (Mat 28) den Auftrag gegeben hat.
Daraus ergibt sich mein Fokus, darauf zu achten, dass Menschen zu Jüngern werden und das Gelernte weitergeben, sie abhängig von Jesus werden, aber nicht von mir.

Die Jünger sollten die Menschen zu Jüngern machen und sie „halten lehren“ die Dinge, die Jesus ihnen vorgemacht, gezeigt und halten gelehrt hat (unter anderem gehörte dazu Hinausgehen, von Jesus erzählen, für Kranke beten etc), mit anderen Worten: Die neuen Christen sollten trainiert werden, ebenso als Jünger die Dinge zu lernen und zu tun, die Jesus seinen Jüngern beigebracht hatte.
Genau diesen Fokus sieht man in Gemeindegründungsbewegungen (oder Jüngermachbewegungen, wie sie mittlerweile immer öfter genannt werden). Davon gibt es weltweit bereits viele. In dem englischen Artikel „Wieviele Gemeindegründungsbewegung gibt es?“ bekommst du einen Überblick, wie rapide sich solche Bewegungen ausbreiten.

Das sicher größte CPM (church planting movement) findet sich in China: Dort sind innerhalb von etwas zehn Jahren 1,7 Millionen Menschen zum Glauben gekommen in mehr als 150.000 Gemeinden (also im Durchschnitt 11,3 Gläubige im Schnitt).

Und jeder, der ein bisschen in die Materie eintaucht, weiß:  Auf solche Zahlen kommt man in der Zeit nur durch Generationen von Jüngern und Gemeinden:
Jünger machen zu Jüngern, die zu Jüngern machen, die zu Jüngern machen. Und auf diese Zahlen kommt man auch nicht, wenn man fahrlässig nur lauter Babychristen in die Welt setzt und sie sich selbst überlässt. Die Qualität der Jünger führt erst dazu, dass wir so viele Generationen sehen.

Vielleicht als Antwort auf deine Anfrage: Ja, Menschen sollen zu reifen Jüngern werden, die nicht durch jeden „Wind der Lehre“ (Eph 4,14) umhergetrieben werden. Aber sehe ich bessere und effektivere Wege dafür als die üblichen Wegen klassischer bestehender Gemeinden? Definitiv. Liegen die Alternativen in kleinen Kreisen, die keine Ahnung haben und sich nur zum Diskutieren treffen? Definitiv nicht. Aber es gibt bewährte Alternativen, die hier in Deutschland weitgehend unbekannt sind. Oft sind es induktive Bibelstudiengruppen, in dieser Mitschrift eines Seminars mit David Watson im Jahr 2010 kannst du z.B. mehr über sogenannte Entdeckerbibelstudiengruppen lesen.

In dem großartigen Buch „Miraculous Movements“ kannst du mehr darüber lesen, wie dieses Tool in solchen Gemeindegründungsbewegungen in Afrika eingesetzt wird (aber nicht nur da).

Gemeindegründungsbewegungen sind Gottes Werk, das muss völlig klar sein. Sie entstehen aber nicht, wenn wir fahrlässig vorgehen und nicht dafür sorgen, dass Menschen zu Jüngern werden, die fähig werden, auch andere zu (halten) lehren.

Die christliche Welt ist weitaus größer als unser kleines Deutschland oder Europa. Gott tut in vielen Ländern der Welt atemberaubende Dinge, von denen wir lernen können. Auch in Deutschland! Ja, das fordert oft Übersetzungs- und Kontextualisierungsarbeit, keine Frage. Es fordert aber auch, dass wir bereit sind, Altbekanntes und Geliebtes auch mal los zu lassen und zuzulassen, dass es andere Formen von Gemeinde gibt, die völlig okay sind. Und ganz vielleicht steckt in ihnen auch mehr Potenzial als wir annehmen.

Ich hoffe, das hilft ein bisschen zu verstehen, wofür ich mich einsetze.