Aus dem letzten Jahr gibt es noch etwas nachzuholen. Zumindest ein Post fehlt nach dem letzten Post aus 2013 noch: Wie gehen wir mit den dunklen Seiten des Alten Testaments um? Wie bringen wir den Gott, der sich darin offenbart, mit dem zusammen, wie Gott sich in Jesus offenbart hat?

Als Vorbemerkung möchte ich sagen, dass das, wie ich das AT mittlerweile lese, sicher kein Mainstream ist. Und auch kein Dogma ist. Jeder darf diese Spannung anders für sich lösen (oder auch nicht auflösen). Es sind auch Dinge, die bei mir offener und unfertiger sind als beispielsweise das Thema Gnade. Wer bei diesem Thema anderer Meinung ist, der darf dies gern tun (wie auch bei jedem anderen Thema). Für mich ist es eine Sichtweise. Eine, mit der ich am besten leben kann. Und sollte Gott im Himmel einmal, wenn ich vor ihm stehe, zu mir sagen: „Na, ganz so gnädig und nett, wie du mich dargestellt hast, bin ich nun nicht“, dann sei es so. Auf dieser Seite will ich gern vom Pferd fallen. Soviel als Vorrede.

Zum Einstieg ein paar Beispiele, die in der Praxis oft in der von mir erwähnten „Mag ich nicht, das muss mir Gott im Himmel erklären“-Box landen:

  • Väter sollen Kinder essen und Kinder ihre Väter (Hesekiel 5,10)
  • Die Israeliten durften im Krieg schöne Mädchen am Leben lassen und diese zur Frau nehmen, wenn sie aber „keinen Gefallen“ mehr an ihnen hatten, sollten sie sie gehen lassen, nur verkaufen oder als Sklavin halten sollten sie sie nicht. (vgl. 5.Mose 21, 10-14)
  • Widerspenstige oder ungehorsame Söhne sollten gesteinigt werden. (5.Mose 21,18)
  • Gott wird Väter und Kinder zerschmettern, einem anderen, und kein Mitleid haben, noch sie schonen (Jeremia 13,14)

Okay, das soll mal reichen. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich habe damit meine Mühen. Ja, es soll Leute geben, die damit keine Probleme haben. Vielleicht habt ihr schon dieses Video mit John Piper gesehen, aber mir dreht sich dabei der Magen um. Ich weiß, dass John und ich an denselben Gott glauben, aber meine erste Reaktion war: Der glaubt an einen anderen Gott als ich. Ich zitiere mal Piper aus dem Video:

“It’s right for God to slaughter women and children anytime he pleases. God gives life and he takes life. Everybody who dies, dies because God wills that they die. God is taking life every day. He will take 50,000 lives today. Life is in God’s hand. God decides when your last heartbeat will be, and whether it ends through cancer or a bullet wound.“
Meine Rohübersetzung:“Es ist Gottes gutes Recht, Frauen oder Kinder zu schlachten, ganz egal wann er will. Gott schenkt Leben und er nimmt das Leben. Jeder, der stirbt, stirbt, weil Gott es so will. Gott nimmt jeden Tag Leben. Er nimmt 50.000 Leben an diesem Tag. Das Leben ist in Gottes Hand, Gott bestimmt den Zeitpunkt, wann dein Herz aufhört zu schlagen, ob es durch Krebs geschieht oder durch eine Schusswunde.“

Im zweiten Teil des Zitats wird der ganze Themenkomplex „Wille Gottes, Souveränität, Vorherbestimmung“ angesprochen. Auch da bin ich anderer Meinung als Piper, aber das ist Stoff für einen späteren Post, der auch schon in Arbeit ist. Ich habe das Video hier als Beispiel dafür genommen, dass es auch heute scheinbar noch Leute gibt, die mit dieser gewalttätigen Seite Gottes kein Problem haben. Also ich habe damit ein Problem.

Ich betrachte das AT „durch Jesus“ hindurch oder anders ausgedrückt: Durch eine Jesus-Brille. Also auch diese „dunklen Seiten“ Gottes. Wenn Jesus das perfekte Abbild Gottes ist, der unverfälschte Ausdruck seines Wesens (vgl. Hebräer 1,3) ist, wie verhalten sich dann die genannten Stellen des AT zu dem Bild Gottes, wie er sich in Jesus vollständig und endgültig offenbart hat?

Wie ein Schatten zum Original

Nehmt mal das Foto ganz oben: Wieviele Personen seht ihr auf dem Bild? Genau genommen gar keine, denn ihr seht nur den Schatten von drei Personen. Aber wer genau sind diese drei Personen? Hat die rechte Person wirklich so eine große Nase wie auf dem Foto? Oder ist das vielleicht doch nur das Handy, mit dem das Foto aufgenommen wurde? Könnt ihr aufgrund des Schattens irgendwas über die echte Größe der Personen sagen? Oder über ihre Hautfarbe? Oder ihr Alter? Oder ihre Stimme? Oder ihren Charakter? Nein, es sei denn, ihr kennt die Personen, deren Schatten ihr dort seht. Es sei denn, ihr habt ein zuverlässiges Bild von dem Original. Und genau dieses Bild, diesen perfekten Abdruck, diesen Stempel haben wir gesehen: In Jesus Christus hat sich Gott endgültig offenbart, er hat sich gezeigt, wie er wirklich ist.

Er ist das vollkommene Abbild von Gottes Herrlichkeit, der unverfälschte Ausdruck seines Wesens. (Hebräer 1,3 NGÜ)

Davor ist das Bild, das wir von Gott hatten, nur wie ein Schatten. Jesus sagte: „Niemand hat den Vater gesehen, nur der Sohn hat ihn gesehen. Ich habe ihn gesehen. Und wer mich sieht, sieht auch den Vater.“  Davor war das Bild von Sünde verfälscht und verzerrt. Ja, wer mag, darf sagen, dass sich hier die wirklich dunkle Seite der Sünde zeigt: Nicht, dass Gott irgendwie sündig war, sondern durch die Sünde offenbarte sich, wie stark das Verhältnis von Gott und dem Menschen gestört war. Sünde hatte den Menschen von Gott getrennt und zeigte ihr hässliches Gesicht im alten Bund, im Bund des Gesetzes. Aber Gott wollte dem Ganzen ein Ende machen: Ihm war es wichtig, dass er wieder sein wahres Gesicht zeigen konnte. Dann lesen wir im Propheten Jeremia:

Sondern das ist der Bund, den ich mit dem Haus Israel nach jenen Tagen schließen werde: […] Ich werde mein Gesetz in ihr Inneres legen und werde es auf ihr Herz schreiben. […] ich werde ihre Schuld vergeben und an ihre Sünde nicht mehr denken. Jeremia 31,33-34 (ELB)

Ja, hier steht Israel, aber es gab im Alten Testament nach dem Bund mit Abraham und dem Bund mit Mose keinen weiteren Bund, den Gott mit dem Volk Israel geschlossen hat. Den nächsten Bund hat Jesus durch sein Blut am Kreuz geschlossen:

Denn dies ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden. Matthäus 26,28

Dieser [Jesus] aber hat nur ein einziges Opfer für die Sünden dargebracht und sich dann für immer zur Rechten Gottes gesetzt; Heb 10,12

Jetzt aber ist er einmal in der Vollendung der Zeitalter offenbar geworden, um durch sein Opfer die Sünde aufzuheben. Heb 9,26

“Dies ist der Bund, den ich für sie errichten werde nach jenen Tagen, spricht der Herr, ich werde meine Gesetze in  ihre Herzen geben und sie auch in ihren Sinn schreiben” und: “Ihrer Sünden und ihrer Gesetzlosigkeiten werde ich nicht mehr gedenken.” Heb 10,16-17

Gott hat im AT diesen neuen Bund schon angekündigt, er wollte die Sünden vergeben und an ihre Sünden nicht mehr gedenken.
Genau das hat Jesus erreicht. Er hat durch seinen Tod am Kreuz den neuen Bund gestiftet. Das ist ein komplett neuer Bund.

Ich muss gestehen, dass ich mir bis vor ein paar Jahren so gut wie gar keine Gedanken über diesen neuen Bund gemacht habe. Bei „neuer Bund“ dachte ich bestenfalls an die Einsetzungsworte beim Abendmahl (1.Kor 11,25) und mir war klar, dass das irgendwas mit seinem Tod am Kreuz zu tun hatte, aber ehrlich gesagt habe ich mir darüber hinaus keine Gedanken gemacht. Und so habe ich fleißig Altes Bund – Denken mit Neuem Bund – Denken gemischt. Und das funktioniert nie so richtig gut.

Wie komme ich jetzt auf die Analogie mit dem Schatten?

Dazu zwei (ich gebe zu, nicht ganz leicht zu verstehende) Texte:

Er hat den Schuldschein gegen uns gelöscht, den in Satzungen bestehenden, der gegen uns war, und ihn auch aus unserer Mitte fortgeschafft, indem er ihn ans Kreuz nagelte; er hat die Gewalten und die Mächte völlig entwaffnet und sie öffentlich zur Schau gestellt. In ihm hat er den Triumph über sie gehalten. So richte euch nun niemand wegen Speise oder Trank oder betreffs eines Festes oder Neumondes oder Sabbats, die ein Schatten der künftigen Dinge sind, der Körper selbst aber ist des Christus. Kolosser 2,14-17

Denn da das Gesetz einen Schatten der zukünftigen Güter, nicht der Dinge Ebenbild selbst hat, so kann es niemals mit denselben Schlachtopfern, die sie alljährlich darbringen, die Hinzunahenden für immer vollkommen machen. Hebräer 10,1

Ich würde das so zusammen fassen: Im AT sehen wir ein Bild von Gott, das durch die Sünde, die den Menschen immer wieder von Gott trennte, geprägt war. Gott zeigt sich auch gnädig, obwohl er es nicht musste (ja, auch solche Passagen finden wir oft im AT), aber das Bild von Gott ist eben durch die Sünde und das Gesetz, durch das der Mensch vor Gott nicht als gerecht stehen kann, geprägt. Es ist im Vergleich zu dem Bild, wie Gott sich in Jesus offenbart hat, wie der Schatten zum Original.

Und daher betrachte ich alles “durch Jesus” hindurch. Was sehe ich bei Jesus? Was hat er gemacht? Wie ist er mit Menschen umgegangen? Welches perfekte Abbild von Gott hat er mir gezeigt? Im besten Sinne also ein WWJD-Ansatz oder besser ein WDJD (What did Jesus do? Was hat er gemacht?) -Ansatz.

Soviel soll zu diesem Thema von meiner Seite aus reichen. Ja, da gäbe es noch viel mehr zu zu sagen, aber es sind die konkreten Anwendungsfragen mit dieser Jesus Brille, die mich gerade deutlich stärker bewegen als noch weitere grundlegende Posts zu diesem Thema.

Wer des Englischen mächtig ist, dem zeige ich einfach zwei Spuren auf, denen man folgen kann, wenn man sich da tiefer rein arbeiten will.

Die eine Spur ist Greg Boyd, bei dem ich das Schatten-Thema zum ersten Mal gehört habe. Greg arbeitet an einem dicken Buch zu dem Thema „Crucifixion of the Warrior God“, auf das ich mich schon sehr freue, aber hier sind ein paar Posts bzw. Predigten, in denen er zu dem Thema einiges sagt, nehmt sie als Einstiegspunkt und folgt diesen Fährten, wenn es euch interessiert:

Getting Honest about the Dark Side of the Bible  oder The Cruciform Center Part 1: How Matthew, Mark and Luke Reveal a Cruciform God

From Shadow to the Reality in Christ oder Shadow of the Cross

Darüberhinaus vertritt auch Wayne Jacobsen einen ähnlichen Ansatz. Er wird vielen bestimmt durch sein Buch Der Schrei der Wildgänse bekannt sein.
Wayne nennt seinen Ansatz „The Jesus Lens“. Viele Videos, Präsentationen und anderes findet ihr bei diesem Link.

Noch eine Bemerkung zu solchen Hinweisen oder Empfehlungen:
Ich habe weder alles von Jacobsen noch von Greg Boyd gesehen oder gelesen. Ich muss auch nicht alles 100%ig so sehen wie sie es tun, kann aber von jedem lernen. Ich bin hier auf dem Blog bisher immer etwas vorsichtig gewesen, Dinge zu nennen oder zu empfehlen, von denen ich gelernt habe, denn manchmal befürchte ich, dass jemand denkt: „David hat xy (Video, Buch oder Artikel) empfohlen, darin wird das und das gesagt, also muss David auch dasselbe glauben.“ Das muss nicht immer der Fall sein. Ich habe schon Bücher gelesen, in denen ich bei 80% voll mit konnte und viel Gutes gelernt habe. Die 20%, bei denen ich (manchmal auch deutlich) anderer Meinung war, halten mich nicht davon ab, von dem Guten zu lernen.

In diesem Sinne: Jeder lese oder schaue es, prüfe es und behalte das Gute. Viel Segen euch dabei!

Eure Gedanken und Kommentare lese ich aber immer gern, egal auf welchem Wege.

(Und wenn mir jemand auch noch erklären kann, wie man solche Themen gut in mehrere kürzere Posts verpacken kann, der darf mir gern eine Mail schreiben. LOL)