Photo Credit: Polizei Hamburg

Nach meinem Einführungspost wurde die Frage gestellt, warum Städte eine Hürde für Bewegungen sind. Dies will ich heute näher erläutern.

Bewegungen entstehen normalerweise entlang von Beziehungssträngen. Manchmal kommt eine einzelne Person zum Glauben und erzählt dann direkt der Familie, Freunden oder Arbeitskollegen davon. Ein anderes Mal ist z.B. nach einem Wunder eine ganze Familie interessiert und möchte mehr von Jesus hören und kommt dann kollektiv zum Glauben. So ähnlich stelle ich mir es mit Kornelius (Apg 10) oder dem Kerkermeister aus Philippi (Apg 16) vor. Ein ganzer Haushalt (griechisch Oikos) kommt zum Glauben. Durch bestehende Beziehungen kam das Evangelium zu anderen.
Ein Vorteil von solchen größeren Gruppen ist auch, dass sich so viel einfacher kleine Gemeinden bilden können.

Im Unterschied zu Dörfern sieht man in Städten, dass diese Oikos-Beziehungen nicht so zahlreich und nicht so stark ausgeprägt sind.
Auf einer Esoterikmesse betete ich für ein Ehepaar, das Gott sofort heilte. Ich traf mich ein paar Tage später mit der Familie bei ihnen zu Hause zum Bibellesen. Nach einigen Wochen taufte ich die dreiköpfige Familie in ihrer Badewanne.
Als ich im Anschluss die Familie bat, doch mal auf einem Zettel ihre Freunde aufzuschreiben, war die Antwort: „Wir haben keine Freunde, wir haben Nachbarn.“
Damit will ich diese Familie nicht kritisieren, es beschreibt einfach die Realität, die wir oft in Städten erleben.

Diese Individualisierung kann man in Deutschland auch an dem Anteil der Ein-Personen-Haushalte erkennen:
Während deutschlandweit knapp 20% alleinlebend sind (Stand 2011) ist die Zahl der Ein-Personen-Haushalte in Großstädten besonders hoch:

2014 lebten in München 54,4% allein, in Hamburg waren es 58,1%. In manchen Stadtteilen Hamburgs liegt die Quote bei über 80%. (Quelle)

Diese Individualisierung der Gesellschaft hat zum einen zur Folge, dass sich das Evangelium schlechter oder nur langsamer entlang von Beziehungen ausbreiten kann und zum anderen wird dadurch das Etablieren von kleinen Gemeinden/Gemeinschaften erschwert.

Die Familie, von der ich sprach, ist inzwischen Mitglied einer sehr großen etablierten Freikirche und ist glücklich dort. Eine Multiplikation entlang persönlicher Beziehung hat im Anschluss nicht stattgefunden. Dass sich die Familie dieser großen Gemeinde anschloss, hatte unterschiedliche Gründe, einer davon aber war die Tatsache, dass sich in ihrem direkten Umfeld über einen gewissen Zeitraum keine stabile Hausgemeinde etablieren ließ.

Von einem erfahrenen Gemeindegründer lernte ich mal „Don’t cross the streams!“ (Stichwort: totale Protonenumkehr), aber das wäre jetzt eine weitere Hürde, auf die ich erst bei Hürde 6 eingehe.

Damit noch nicht genug, das Problem ist weitreichender:

Wenn man in einem Dorf mit 500 Einwohnern wohnt, kennt jeder jeden, vielleicht nicht mit Namen, aber dennoch im Sinne von „Das ist doch der Sohn von Soundso oder das ist doch die Frau vom Automechaniker.“

Bei uns in Hamburg kann ich den Hauptbahnhof mehr oder weniger in zwei Richtungen verlassen. In beiden Fällen zeigt sich mir ein total anderes Bild. Auf der Südseite begegnen mir nur wenige deutschstämmige Menschen. Auf der Nordseite ist es fast genau andersherum. Aber auf beiden Seiten werde ich an vielen Menschen vorbeigehen, die ich vermutlich in meinem Leben nie wieder sehen werde.

Das ist nicht nur ein westliches Problem. Stellen wir uns vor, ein einheimischer afrikanischer Missionar besucht ein Dorf, das er noch nie besucht hat.
Was passiert? Nach kurzer Zeit wird er als Fremder erkannt und angesprochen: „Du bist neu hier, was bringt dich hierher?“

Genau solche afrikanischen Gemeindegründer, die in Dörfern extrem erfolgreich gearbeitet hatten, wurden in große Städte geschickt.
Als sich diese Missionare zu Fuß in Richtung größerer Städte aufmachten, haben sie schon in mittelgrößeren Vororten einen Unterschied gemerkt: Sie wurden nicht mehr so stark bemerkt. In den Großstädten angekommen wurden sie von den anderen Menschen komplett ignoriert. Aber die Missionare merkten, dass nicht nur die Menschen sich verändert hatten, sie selbst waren nicht mehr in ihrem Element und fanden schlechter Zugang zu Menschen.

Damit hängt auch das Lebenstempo in Städten zusammen:
Wenn Menschen draußen sind, dann meist um irgendetwas zu erledigen: Von zu Hause zu A spurten, um B zu erledigen, dann entweder weiter zu C oder zurück nach Hause.
Dort richtet man es sich schön ein. Davon profitieren dann zwar die Einrichtungshäuser oder Unterhaltungselektronikhersteller, Gemeinschaft wird aber viel seltener gepflegt.

Dazu kommt, dass die Lebenshaltungskosten in Städten immer höher werden. Ein immer größerer Prozentsatz des Einkommens geht für die Miete drauf, sodass oft mehr gearbeitet wird. Das gepaart mit den weiten Strecken, die zur Arbeitsstelle anfallen, lässt immer weniger Zeit und Kapazität für andere Dinge übrig.

Zudem werden die Wege zu Freunden in Großstädten immer weiter.
Ich muss mir nur unser All Nations Team hier in Hamburg anschauen. Zu manchen Teammitgliedern bin ich mit öffentlichen Verkehrsmitteln eine gute Stunde unterwegs. Mit dem Auto in der Rush Hour brauche ich noch länger.
Da wird allein Treffen zum gemeinsamen Gebet ein größerer logistischer Akt.

Dies alles macht das Leben und Wirken in Großstädten schwieriger.

Soviel mal. Nicht so leicht, nicht wahr?

Auch wenn diese Posts erst einmal die Herausforderungen für Bewegungen (die Hürden) erklären wollen, dennoch ein paar Gedanken zu Lösungsansätzen:

Zum einen ist die Individualisierung nicht bei allen Menschen gleich fortgeschritten. Bei den „deutschen Deutschen“ ist die Individualisierung stärker ausgeprägt als bei anderen Kulturen.
Als wir mit unserem All Nations Team vor einigen Jahren ein Heilungswunder unter Italienern erlebt haben, breitete sich die Nachricht in diesem italienischen Oikos rasend schnell aus. Da kamen auf einmal ganze Familienclans zusammen und wollten von Jesus hören.

Das Problem der großen Wegstrecken kann man lösen, wenn auch nicht ohne Aufwand.
In Essen gründeten wir 2005 unsere erste Hausgemeinde. Damals (und auch in der Folge) zogen Familien ganz bewusst in die Nähe. So können sich dort auch heute noch Familien in maximal fünf Minuten fußläufig erreichen. So lassen sich beispielsweise Gebetstreffen vor der Arbeit allein logistisch leichter realisieren.

Städte bieten Herausforderungen, aber wir müssen Wege finden, diese Hürden zu überwinden. Dieses Problem wird weltweit wahrgenommen, allerdings gibt es noch nicht so viele Lösungsansätze.

Aber der erste Schritt für Lösungen ist das Wahrnehmen des Problems. Erst dann können wir gemeinsam an Lösungen arbeiten.

Was denkt ihr zu den Herausforderungen?
Seht ihr weitere Lösungsansätze?